Wie viel CO2 dürfen wir höchstens noch ausstoßen, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen? Viel weniger als bislang gedacht – so das Ergebnis einer neuen Studie. Was hat es mit den neuen Zahlen auf sich?
Von: Philip Artelt und Franziska Konitzer
Über dieses Thema berichtet: radioWelt am 03.11.2023 um 15:05 Uhr.
500 Gigatonnen CO2-Emissionen: So groß ist das weltweite verbleibende Budget für den Ausstoß des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid, um noch das Ziel zu erreichen, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. So steht es zumindest im 2022 erschienenen Bericht des Weltklimarates IPCC.
Doch jetzt ist im Fachmagazin "Nature Climate Change" eine Studie erschienen, die dieses Budget drastisch kürzt, die Zahl fast halbiert. Demnach würde das verbleibende CO2-Budget nur noch 260 Gigatonnen betragen. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 lag der weltweite CO2-Ausstoß bei fast 40 Gigatonnen pro Jahr. Das weltweite Budget wäre demnach bei aktuellem Emissionsniveau in sechs Jahren aufgebraucht. Wie lassen sich diese neuen Zahlen einordnen?
CO2-Emissionen und das 1,5-Grad-Ziel: Budget schrumpft
Klimaforscherinnen und Klimaforscher beschäftigen sich schon seit Jahren mit der Frage, bis wann die Welt bei Netto-Null-Emissionen ankommen muss, um den Klimawandel unter Kontrolle zu bekommen. So gibt es auch im IPCC-Bericht verschiedene Berechnungen, wie viel Kohlenstoffdioxid und andere Treibhausgase die Menschheit noch ausstoßen "darf", um die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad oder auf 2 Grad zu begrenzen.
Im Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015 hat sich die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, die globale Erderwärmung auf jeden Fall auf unter 2 Grad, wenn möglich auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Bei diesen Berechnungen geht es nicht so sehr um den genauen Zeitpunkt, es geht vielmehr darum, mit wie viel CO2 wir insgesamt die Atmosphäre noch belasten dürfen. Je nachdem, wie schnell wir den Ausstoß verringern, erreichen wir diese Grenze früher oder später.
"Wir müssen bis 2035 CO2-neutral werden"
Das Ergebnis der neuen Studie besagt nun, dass das verbleibende Budget, um das 1,5-Grad-Ziel noch mit einer Wahrscheinlich von fünfzig Prozent zu erreichen, 260 Gigatonnen CO2-Emissionen beträgt. "Das Entscheidende an dieser Studie ist, dass diese Forderung, dass wir Mitte des Jahrhunderts CO2-neutral werden müssen, um 1,5 Grad noch zu erreichen, jetzt unrealistisch ist. Wir müssen bis 2035 CO2-neutral werden", sagt der Münchner Klimaforscher Niklas Boers von der Technischen Universität München. "Uns geht schneller die Luft aus, als wir gedacht haben."
Die Studie legt auch Zahlen zum 2-Grad-Ziel vor: Bei kontinuierlichen Emissionsminderungen müsste die Welt im Jahr 2070 eine Netto-Null-Emission von Treibhausgasen erreichen, um dieses Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent zu erreichen. Für eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent wäre das sogar schon bis 2050 notwendig. Das verbleibende Budget für CO2-Emissionen für das 2-Grad-Ziel beträgt laut der Studie 940 Gigatonnen CO2, im IPCC-Bericht waren es noch 1.150 Gigatonnen CO2.
Geschrumpftes CO2-Budget aufgrund verbesserter Modelle
Woher kommt diese Korrektur nach unten beim CO2-Budget? Einerseits haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerinnen neue Berechnungen anderer Faktoren der Luftverschmutzung genauer einbezogen, beispielsweise was Schwebstoffe wie Aerosole betrifft. Diese eigentlich kleineren Korrekturen haben große Auswirkungen auf die Folgen für die sich daraus ergebende Erwärmung sowie das noch verbleibende CO2-Budget. "Dass es jetzt auf einmal nur noch 250 Gigatonnen sind, liegt daran, dass das System so sensitiv ist und hochgradig nichtlinear ist", sagt Boers. Nichtlinear heißt in diesem Fall: Kleine Veränderungen können große Auswirkungen haben.
Andererseits ist es nicht richtig, im Vergleich vom IPCC-Bericht zu der neuen Studie von einer Halbierung des CO2-Budgets zu sprechen. Denn der IPCC-Bericht aus dem Jahr 2022 berechnete das verbleibende CO2-Budget ab 2020. Seitdem sind ein paar Jahre Jahre vergangen, in denen die Menschheit weiter CO2 ausgestoßen hat und so einen Teil der ursprünglich berechneten 500 Gigatonnen CO2 schon "aufgebraucht" hat. Darüber hinaus deutete das ursprüngliche Budget des IPCC-Berichts darauf hin, dass die Emissionen nach der Corona-Pandemie weiter zurückgingen – aber das Gegenteil ist eingetreten und die Emissionen sind wieder angestiegen.
Die Studien zeigen aber vor allem eines: Klimaforscher arbeiten immer mit Wahrscheinlichkeiten. Es gibt keine exakten Prognosen über den Klimawandel. In einer Studie bleibt etwas mehr, in einer anderen Studie etwas weniger Zeit, um die Klimaziele doch noch zu erreichen.
Kampf gegen den Klimawandel: Es ist nie zu spät
Aber bringen solche schlechten Nachrichten uns wirklich dazu, unser Leben klimafreundlicher zu gestalten? Imke Hoppe, Professorin für Wissenschaftskommunikation an der Uni München, sagt dazu: "Mit Blick auf die Studien aus der Wirkungsforschung ist natürlich gleichermaßen eine Sorge da, dass das perfekt in diesen Katastrophen-Frame passt. Und der zeigt ganz oft, dass das dazu führt, dass Menschen besorgt sind, dass die Angst steigt, Frustration entsteht, und es eben nicht dazu führt, dass individuelles Verhalten oder Handeln auf einer gesellschaftlichen Ebene bestärkt werden."
Dass Berichte über die Klimakrise aber auch Aufbruchsstimmung erzeugen können, hat Hoppe bei der Klimakonferenz 2015 erlebt. Damals wurde das Ziel festgelegt, die globale Erwärmung auf unter 2 Grad, möglichst auf unter 1,5 Grad, zu begrenzen: "Wir haben da in unseren Wirkungsstudien gesehen, dass sich Menschen ermutigt gefühlt haben, dass die Weltgemeinschaft das noch schaffen kann, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen."
Auch jetzt ist es noch nicht zu spät, um etwas gegen den Klimawandel zu tun. Darin sind sich alle einig, auch wenn es für das 1,5-Grad-Ziel sehr knapp werden wird. Selbst wenn das 1,5-Grad-Ziel für eine gewisse Zeit überschritten werden wird, kann die globale Durchschnittstemperatur anschließend wieder sinken, wenn Emissionen auf Null gesenkt werden und mehr CO2 aus der Atmosphäre entfernt wird. Natürlich gilt auch: Diese Aufgabe wird umso leichter, je weniger Emissionen vorher in die Atmosphäre eingebracht wurden.