Stellungnahme der Agenda 21

Stellungnahme der Agenda 21 Pullach im Rahmen der frühzeitigen Unterrichtung
der Öffentlichkeit (§ 3 Abs. 1 BauGB) zur eingeleiteten Neuaufstellung des Bebauungsplanes Nr. 23b "Industriegebiet Dr.-Gustav-Adolph-Straße" sowie zur ersten Teiländerung des Flächennutzungsplanes (FNP) im Parallelverfahren zu o. g. Neuaufstellung des Bebauungsplanes

Die Agenda 21 Pullach nimmt entsprechend §3 BauGB zur Neuaufstellung des Bebauungsplanes Nr.23b sowie zur Teiländerung des FNP Stellung und empfiehlt dem Gemeinderat im Interesse der Sicherheit der Pullacher Bevölkerung und des Natur- und Klimaschutzes, wie einleitend im Folgenden zusammengefasst, zu handeln bzw. zu entscheiden:

1) Indem sie als beteiligte Behörde aus o.g. Gründen im noch nicht abgeschlossenen Verfahren zur Genehmigung der Betriebsänderung nach BImSchG ihre Zustimmung versagt.

2) Indem sie aus o.g. Gründen bei der Aufstellung des Bebauungsplans 23b, sowie des Flächennutzungsplans Festsetzungen beschließt, die eine Begrenzung der Lager- und Produktionsmengen der Gefahrstoffe beinhalten. Dazu sollten entsprechende Gutachten eingeholt werden.

3) In diesem Sinne eine Beschränkung des Nutzungsmaßes und der derzeit genutzten Fläche auf den derzeitigen Stand festsetzt.

4). Im neuen Bebauungsplan 23b/FNP weitere Festsetzungen erlässt, die geeignet sind, die Pullacher Klimaziele zu erreichen.

5). Prüfen lässt, ob die geplante Betriebsänderung BigWings die Rodung des südlich angrenzenden Waldes tatsächlich erforderlich macht.

6). Prüfen lässt, wie sich der An- und Ablieferverkehr nach Betriebsänderung tatsächlich entwickeln wird.

Im Einzelnen dazu:

zu 1. Die Gemeinde möge sich am Verfahren zur Genehmigung der Betriebsänderung nach BImSchG beteiligen:

Das Werk des Unternehmens United Initiators in Pullach gehört zweifelsohne zu den gefährlichsten Störfallbetrieben im Landkreis München.
Nach BImSchG ist zwar das Landratsamt München die zuständige Behörde für die Genehmigung der von United Initiators beantragten Betriebsänderung BigWings ist diese aber nach unserer Kenntnis bisher noch nicht erteilt. Das Genehmigungs-Ver-fahren ist demnach nicht zum Abschluss gekommen, da die nach § 10 (5) und §23b (3) BImSchG am Verfahren beteiligte Gemeinde Pullach mit Beschluss vom 08.10.2019 das Einvernehmen mit Verweis auf den entfallenen Bebauungsplan Nr. 23a („Vorhaben widerspricht in Teilen dessen Festsetzungen“) vorerst verweigert und eine Neufassung dieses Bebauungsplans beschlossen hat.
 

zu 2. Sicherheitsinteresse der benachbarten Pullacher Anwohner, sowie angrenzender Gemeinden sind ausreichend zu berücksichtigen:

Mit der Aufstellung des neuen Bebauungsplanes/FPN steht es der Gemeinde grundsätzlich frei, nach ihrem Ermessen den jeweiligen Eigentümern/Bauwerbern Festsetzungen für die künftige Bebauung und Nutzung des entsprechenden Geländes, ggf. in Form eines städtebaulichen Vertrags, zu beschließen, die die Auflagen des vorherigen, entfallenen Bebauungsplan ersetzen. So ist es nach unserer Ansicht bei der Neuaufstellung des Bebauungsplan/FNP 23 bzw. 23b u. a. unbedingt erforderlich vom Betreiber des Werks restriktive Auflagen zu verlangen, die die geeignet sind, die Störfallgefahren des Chemiewerks zu verringern und den Schutz der Pullacher Bevölkerung vor möglichen Brand- und Explosions-Ereignissen zu erhöhen.

In den letzten Jahrzehnten, zuletzt vor 18 Jahren, haben sich bei der Produktion und Lagerung organischer Stoffe mindestens 4 Störfälle, z.T. erheblichen Ausmaßes, mit Bränden und Explosionen ereignet. Dabei zeigen die Erfahrungen aus diesen Störfällen, dass die Gefährdung nicht nur von den Lagerstätten, sondern vor allem von den Produktionseinrichtungen ausging.

Eine Gefährdungsbeurteilung bzw. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr insbesondere bei Explosionen, die speziell bei der Produktion von unverdünnten organischen Peroxiden durch Selbstentzündung hervorgerufen werden können, haben wir in den ausgelegten Unterlagen nicht gefunden, halten diese aber im Interesse der benachbarten Pullacher Einwohner für unverzichtbar.

Die in den ausgelegten Unterlagen beschriebenen Gefahrenabwehrmaßnahmen beziehen sich überwiegend auf Vorkehrungen für einen möglichen Brandfall, der bei einer Selbstentzündung der Gefahrstoffe in den Lagerstätten auftreten kann.

Es fehlen in der Offenlegung zudem Unterlagen, wie die laut Unternehmen veranlassten Gutachten zu Sicherheit (TÜV-Gutachten), Abstandsgutachten, Brandschutznachweise mit Bescheiden von Prüfsachverständigen. Ebenso ein Gutachten der Feuerwehr, sowie das Verkehrsgutachten eines Ing. Büros Obermaier

Wir sind der festen Ansicht, dass das Gefährdungspotential sowohl durch eine Erweiterung der Produktions- als auch der Lagerstätten der Gefahrstoffe entsprechend zunimmt. Die vom Unternehmen angeführten laufenden Investitionen, einmal genannt 100 Mio. Euro, dann wieder 200 Mio. in die Sicherheitstechnik sind dabei nicht freiwillig, sondern vom Gesetzgeber im BImSchG vorgeschrieben. Jeder Störfallbetrieb muss demnach, um die Betriebsgenehmigung nicht zu verlieren, seine Sicherheitseinrichtungen auf den jeweiligen Stand der Technik halten. Ein sog. „Dennoch-Störfall“ wird aber vom Betreiber United Initiators trotzdem nicht ausgeschlossen“ und ist statistisch gesehen jederzeit möglich.

Eine Reduzierung der Gefährdungssituation für die angrenzenden Wohn- und Gewerbegebiete und der restlichen Bevölkerung von Pullach, Baierbrunn und Grünwald ist aus unserer Sicht neben brand- und explosionshemmenden Einrichtungen vor allem mit einer Begrenzung der Produktions- und Lagermengen der Gefahrstoffe zu erreichen. Die Kapazitäten sollten deshalb auch in der Produktion durch entsprechende Festsetzungen im Bebauungsplan/FPN oder durch andere Regelungen auf die derzeit realisierten Mengen begrenzt werden.
So schlagen wir vor, dass die produzierte Menge organischer Peroxide auf jährlich
max. 60 000 t (Angaben aus dem Umweltbericht 2019 der United Initiators, entsprechen 6800 kg/ Stunde) begrenzt wird, die Lagermenge organischer Peroxide nach der Umsetzung der geplanten Erweiterung BigWings, d. h. nach Auflösung der Außen-Lager 1400 t nicht überschreiten darf.
Die von der Genehmigungsbehörde des Landratsamts zugelassenen Produktionsmengen bezogen auf die verschiedenen Gefahrstoffe ist im Übrigen nicht offengelegt worden.

Ebenso sollte überprüft werden, ob die Lagerkapazitäten der angemieteten Außen-Lager in Mannheim und Halle den beantragten 400 t für die organischen Peroxide tatsächlich entsprechen.

zu 3. Weitere Empfehlungen der Agenda 21 Pullach bei der Aufstellung des neuen Bebauungsplans 23b/FNP bezüglich des Baurechts und der Festsetzung der Industriefläche im neuen Bebauungsplan/FNP:

  • Das im Bebauungsplan Nr.23a festgesetzte Baurecht empfehlen wir nach Par. 39 ff BauGB entschädigungsfrei zurückzunehmen. Eine Übertragung auf andere Flächen von United Initiators in Pullach soll nicht stattfinden.

  • Im Bebauungsplan 23a war ein " Campus für Forschungszwecke" (ähnlich "Martinsried) vorgesehen. In Ziff. 3.2.3 der Begründung zum Bebauungsplan 23b hat die Gemeinde festgestellt, dass diese Ziele nie realisiert wurden und auch nicht weiterverfolgt werden sollen. Es handelt sich dabei um eine Ausweisung als Gewerbegebiet (GE) mit einer Nutzungsfläche von qm 17500. Da diese Festsetzung vor über 7 Jahren erfolgte kann sie entschädigungsfrei zurückgenommen werden.

  • Es ist zu prüfen ob diese Rücknahme auch für die Baugebiete 5 und 6 des Bebauungsplans 23 (ebenfalls Gewerbegebiet GE) mit einer Nutzungsflächen von qm 9250 möglich ist.

  • Im derzeitigen Entwurf des Bebauungsplans 23b ist vorgesehen, dass für die genannten Nutzungsflächen als Art der Nutzung statt Gewerbefläche Industriefläche festgesetzt wird und die gesamte Industrienutzung sich auf dem Stammgelände weiter erhöht und konzentriert.

  • Das Baurecht Industrienutzung (GI) auf dem Stammgelände des Bebauungsplans 23 bzw.23b soll auf die derzeit realisierte Nutzungsfläche begrenzt werden. Für die geplante Erhöhung der Lagerkapazitäten von 1000 t um 400 t (Überführung von Lagerkapazitäten aus anderen Standorten nach Pullach) kann das derzeit realisierte Nutzungsmaß, soweit dringend erforderlich, entsprechend erhöht werden.

  • Dabei sollte überhaupt zuerst die derzeit realisierte Nutzungsfläche GI auf dem Stammgelände ermittelt werden.

Zu 4. Festsetzungen von Auflagen nach BauGB im Sinne des Klima- und Umweltschutzes, die für die Erreichung der erklärten Klimaziele der Gemeinde unumgänglich sind:

Wir empfehlen dringend im neuaufzustellenden Bebauungsplan23b/FPN durch entsprechende Festsetzungen nach § 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB den Eigentümern aufzuerlegen, dass die Energieversorgung im Bebauungsgebiet entsprechend den Klimazielen des Landkreises München 29++, denen sich die Gemeinde Pullach angeschlossen hat, auf regenerative Versorgung umgestellt werden muss. Nach diesem Klimaziel soll der CO2-Ausstoß in Pullach von (2018, laut THG Bericht des Landkreises München) ca.14,4 t pro Kopf und Jahr auf 6 t pro Kopf und Jahr bis 2030 gesenkt werden.

Das Werk der United Initiators verbrauchte an Prozess- und Heizwärme im Jahr 2019 nach eigenen Angaben 145 000 MWh (entspricht über 60% des gesamten Pullacher Wärmeverbrauchs) mit dem Energieträger Erdgas. Beim Stromverbrauch liegt United Initiators mit ca. 40% des gesamten Pullacher Stromverbrauchs ebenfalls an der Spitze.

Die vom Gemeinderat beschlossenen Klimaziele für die Gemeinde Pullach sind also ohne eine erhebliche Senkung des fossilen Energieeinsatzes bei den Pullacher Industriebetrieben, in erster Linie United Initators, unmöglich zu erreichen.

Zu 5. Es ist zu prüfen, ob für die von United Initiators geplante Betriebsänderung BigWings unbedingt die Erweiterung des Werksgeländes in südlicher Richtung im beantragten Umfang erforderlich ist:

Mit dem Entfall des Bebauungsplans 23a ist nach § 33 ff BauGB ist grundsätzlich nicht genutztes Baurecht entfallen, der Eigentümer kann sich nicht mehr darauf berufen. Damit kann die Gemeinde bei der Aufstellung eines neuen Bebauungsplans /FPN neue Festsetzungen treffen. Nach einer Besichtigung des Werksgeländes erscheint es uns nicht unbedingt erforderlich, für die Erweiterung der Gebäude und der Versandeinrichtungen das südlich angrenzende Waldstück im beantragten Umfang zu roden.

Es ist ein wichtiges umweltpolitisches Ziel das Isarhochufer und die dortigen Baumbestände ungeschmälert zu erhalten und von einer Erweiterung nach Süden Richtung Buchenhain abzusehen. Durch den laut United Initiators reduzierten LKW-Verkehr und eine gleichzeitige Neuordnung der Lagerbaulichkeiten bietet sich die Möglichkeit eine logistische Lösung auf dem Stammgelände zu finden.

Durch einen städtebaulichen Wettbewerb mit industrieplanerischer Beratung durch unabhängige Planungs-Beratungsbüros ist aus unserer Sicht vor einer weiteren Behandlung des Entwurfs eines neuen Bebauungsplans zu prüfen wie die um 400 t erhöhten Lagerkapazitäten auf dem umzäunten Kerngelände geschaffen werden können.

Zudem bezweifeln wir, dass durch die vorgestellte Ersatzpflanzung in absehbarer Zeit die entfallene CO2-Bindung des gewachsenen Waldes nach der Rodung kompensiert werden kann.

Zu 6. Es sollte eine Prüfung des Gefährdungspotentials beim Transport der Gefahrstoffe erfolgen:

Uns ist nach wie vor unklar, wie sich die Situation des Lastverkehrs bei der An- und Auslieferung der Gefahrenstoffe, die im Werk verarbeitet und produziert werden, auf Straße und Schiene nach der Betriebserweiterung darstellen soll.

Es fehlt auch nach der Informationsveranstaltung von United Initiators u.a. eine verlässliche Angabe der Verkehrsmenge heute und nach Umsetzung der Betriebsänderungen. Die Angaben des Betriebs erscheinen uns widersprüchlich. Die angegebene Anzahl von 50 Transportbewegungen pro Tag, die sich nach der geplanten Betriebsänderung um 1-2 verringern soll, erscheint uns bei einem Wegfall des sog. Pendelverkehrs auch bei der erhöhten Lagerkapazität viel zu hoch gegriffen. Die Verkehrsbelastung würde sich nach unserer Abschätzung im betroffenen Gebiet damit vervielfachen.
In den veröffentlichten Unterlagen finden wir keine entsprechenden Nachweise oder Gutachten (Verkehrsgutachten, Sicherheitsgutachten, etc.). Organische Peroxide müssen, damit sie sich nicht selbst entzünden, auch beim Transport ständig gekühlt werden.

Ebenso ist unklar, ob und welche Sicherheitsmaßnahmen bei möglichen Verkehrsunfällen vorgesehen sind. Ein Konzept über die vom Unternehmen geplante neue Verkehrslogistig ist ebenfalls in den Unterlagen nicht enthalten. Es soll laut Unternehmen dazu ein uns nicht bekanntes Verkehrsgutachten eines Ingenieurbüros Obermaier in Auftrag gegeben worden sein.

Bei den benachbarten Anwohnern des Werks wurde uns gegenüber auch die Sorge geäußert, dass die LKW Transporte von Auftragsnehmern der United Initiators durchgeführt werden, die mit den gesetzlichen Vorschriften beim Spezial-Transport von Gefahrstoffen nicht vertraut sein könnten (Transportpapiere, Alarm- und Löscheinrichtungen am Fahrzeug, Schulung der Fahrer). Eine regelmäßige Überprüfung sollte unbedingt sichergestellt werden.

Für Rückfragen zu unserer Stellungnahme stehen wir gerne zur Verfügung.

 

Für die lokale Agenda21 Gruppe Pullach:

Bert Eisl, Sprecher der Agenda 21 Pullach
Peter Kloeber, Sprecher des Arbeitskreises Energie und Klimaschutz
Dr. Arnulf Brandstetter, Sprecher des Arbeitskreises Ortsentwicklung und Natur