erschienen im ISAR-ANZEIGER vom 29.09.11
Mit ungläubigem Staunen und Verwunderung verfolgten die zahlreichen Zuschauer eine Debatte des Gemeinderats am 20.09.11, die jeden Deutschlehrer zur Verzweiflung getrieben hätte, denn das eigentliche Thema wurde komplett verfehlt: die Entscheidung über ein einheitliches Verkehrskonzept für ganz Pullach. Stattdessen wurde mit teils skurrilen, teils hochtrabenden Einlassungen versucht, die Deutung der Ergebnisse der Bürgerbefragung zu diesem Thema den jeweils eigenen Vorstellungen anzupassen. Doch um was ging es denn eigentlich?
Im Ortsgebiet Pullach gibt es verkehrstechnisch eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“. Östlich der S-Bahn gilt Tempo 30 in allen Wohngebieten und nur in wenigen Verbindungsstraßen ist eine höhere Geschwindigkeit erlaubt. Die Verkehrsregelung westlich der S-Bahn gleicht einem „Fleckerlteppich“. Nur in wenigen Straßen ist bisher Tempo 30 vorgeschrieben. Die Gremien der Gemeinde waren es leid, sich ständig mit Einzelentscheidungen über von Anwohnern gewünschte Geschwindigkeitsbeschränkungen befassen zu müssen, und beauftragten die Verwaltung, ein einheitliches Verkehrskonzept auszuarbeiten und vorzulegen. Gesagt, getan! Der Vorschlag der Verwaltung lässt sich ganz einfach darstellen: Auch für den Westen der Gemeinde sollen künftig die gleichen Regeln gelten wie im bisher privilegierten Osten: Tempo 30 in allen Wohngebieten.
Das klingt nicht nur logisch und sinnvoll, sondern auch gerecht gegenüber allen Bürgerinnen und Bürger. Doch die Auftraggeber dieses Konzeptes (die „schwarze Mehrheit“ im Gemeinderat) befielen plötzlich Zweifel und die schon gewohnte Angst vor Veränderungen. Und man entschloss sich - durchaus löblich – zu einer Bürgerbefragung. Nun hatte diese Befragung aber zwei „angeborene“ Fehler: zum einen waren drei Alternativen zur Wahl gestellt (Umsetzung des Verkehrskonzeptes oder Tempo 30 flächendeckend oder Beibehaltung des derzeitigen Zustandes) und zum anderen wurden auch die Bürger östlich der S-Bahn befragt, die ohnehin schon in Tempo-30-Zonen wohnen. Und die haben sich natürlich, wie eine Zuschauerin treffend anmerkte, ohne großes Nachdenken für die Beibehaltung des für sie günstigen Zustandes entschieden. Und die Dreiteilung der Frage führte dazu, dass kein einzelner Vorschlag die absolute Mehrheit erreichte. Die „Beibehaltung“ lag mit 43,61 % knapp vor der „Umsetzung des Verkehrskonzeptes“ (40,06 %). Der Wunsch nach „flächendeckend Tempo 30“ wurde von 15,76 % geäußert. Damit stimmte eine deutliche Mehrheit von fast 56 % für eine Reduzierung der Geschwindigkeit in allen Wohngebieten. Das sollte eigentlich eine wichtige Entscheidungshilfe für den Gemeinderat sein. Aber weit gefehlt ! Statt sich mit dem eigentlichen Thema zu befassen, erging man sich in fruchtlosen, aberwitzigen Debatten über die Deutung der Bürgermeinung. Dabei wurden hehre Begriffe bemüht, wie „Demokratie-Verständnis“, „kommunales Wahlrecht“, „Basisdemokratie“ und Ähnliches. Leidenschaftliche Appelle aus den Reihen der Zuhörer und die Argumente der Agenda 21 für die Umsetzung des Verkehrskonzeptes verhallten ungehört. Die Fronten blieben weiter verhärtet.
Wie nach dem Verlauf dieser abstrusen Diskussion nicht anders zu erwarten, ging die anschließende Abstimmung aus wie das Hornberger Schießen. Der Antrag auf Umsetzung des Konzeptes fand ebenso keine Mehrheit (dabei stimmte der Bürgermeister selbst gegen das Konzept seiner eigenen Verwaltung), wie der Antrag auf Beibehaltung der aktuellen Situation. Was nun, meine Damen und Herren des Gemeinderats?
Eine positive Erkenntnis nahm der Berichterstatter allerdings aus dieser denkwürdigen Sitzung mit: Gegen die Umsetzung des Verkehrskonzeptes kam kein einziges triftiges Argument auf den Tisch. Und sogar die Wortführerin der CSU hält es für richtig, in Wohngebieten langsam zu fahren. Warum dies also nicht einheitlich regeln? Es besteht also Hoffnung, dass sich die Entscheidungsträger der Gemeinde zusammensetzen, um eine Lösung zu finden, bei der alle ihr Gesicht wahren können. Ich habe Hoffnung!
Eugen Hintzer
Sprecher AK Verkehr